Panorama
Volksheld oder Verräter?
Der Wandel in der Sowjetunion und in ganz Osteuropa ist untrennbar mit dem Namen Michail Gorbatschow verbunden. Am 2. März 2021 feierte er seinen 90. Geburtstag.
Wir schreiben das Jahr 1985. Die Welt ist geteilt – Ost und West stehen sich gegenüber. Seit Jahrzehnten sind die Beziehungen zwischen den beiden Blöcken von Konflikt und Wettbewerb geprägt. Am 11. März 1985 wird der damals 54-Jährige Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der „Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ (KPdSU) ernannt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit stößt Gorbatschow auf Probleme: Unter anderem kann die Planwirtschaft der Sowjetunion im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Bei der Planwirtschaft müssen sich die Unternehmen an die Vorgaben des Staates richten. Dieser erstellt Pläne für die Produktionsmenge, die Preise und die Löhne. Hier gilt das Konzept von Angebot und Nachfrage nicht. Zudem hat das Wettrüsten mit den USA den Staat finanziell ruiniert. Gorbatschow reagiert auf diese Krise mit einem Reformprogramm. Sein Ziel ist es, das sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu modernisieren.
UdSSR – Welche Staaten gehörten dazu?
Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Belarus. Die DDR gehörte zur sowjetischen Besatzungszone.
Bipolare Welt – Zwei Lager stehen sich gegenüber
Während des zweiten Weltkriegs haben sie gemeinsam gegen das Hitler-Regime gekämpft und gesiegt. Danach entstand zwischen ihnen der „Kalte Krieg“, oder auch „Ost-West-Konflikt“ genannt. Gemeint sind die weltweiten Auseinandersetzungen zwischen dem kommunistisch orientierten Ostblock unter Führung der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz Sowjetunion) und dem liberaldemokratisch orientierten Westblock unter Führung der USA. Die beiden Supermächte lieferten sich Jahre lang einen Rüstungswettlauf mit Atomwaffen. Bei einem Einsatz dieser neuen Waffen wäre aber nicht nur der Gegner besiegt worden – Auch die eigene Seite hätte sich nur schwer von den atomaren Folgen erholen können. Es gab einen ständigen Wechsel zwischen Auf- und Abrüstung, Spannung und Entspannung. Der Kalte Krieg zeigte die Gegensätze zwischen Ost und West im Menschenbild und Demokratieverständnis, in Gesellschaftsstrukturen und der Wirtschaftsordnung.
Glasnost und Perestroika
Gorbatschow stieß einen Reformprozess an – die Rede ist von Glasnost und Perestroika. Was ist denn damit gemeint? Mit Offenheit und Transparenz auf allen Gesellschaftsebene wollte Gorbatschow die sowjetische Wirtschaft umbauen - Glasnost als Basis für die Modernisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Das beinhaltet auch eine Demokratisierung der politischen Abläufe und Meinungsfreiheit. Mit Perestroika war der Umbau der Wirtschaft an sich gemeint. Unter anderem sollte die Leistungsfähigkeit gesteigert werden.
Endlich frei
Gorbatschows Reformen wirkten weit über die Sowjetunion hinaus: Sie führten in allen Staaten des Ostblocks zu politischen Liberalisierungen. Die Sowjetunion verhinderte nun nicht länger notwendige Veränderung. Freiheitsbewegungen wurden zuvor von der Roten Armee niedergeschlagen. Sie wachte damals über den gesamten Ostblock und war die Besatzungsmacht in der DDR. Von nun an sollten die anderen Staaten im Ostblock nicht mehr vollständig unter der Kontrolle der Sowjetunion stehen.
Untergang statt Rettung
Eine große und dynamische Welle wurde ausgelöst. 1990 spitzte sich die wirtschaftliche Krise der Sowjetunion zu. Die wirtschaftlichen und sozialen Hoffnungen, die durch die Perestroika geweckt wurden, konnten nicht erfüllt werden. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wuchs nicht nur in der Sowjetunion – mehrere Ostblockstaaten verlangten die völlige Unabhängigkeit. Diese Ergebnisse entsprachen in keiner Weise den Zielen der Reformen. Die angestrebte Modernisierung des sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems führte zur Auflösung der Sowjetunion und einem vollständigen Systemwechsel. Die KPdSU war gespalten: Reformer gegen Konservative. Im August 1991 versuchten Reformgegner mit einem Putsch zu retten, was zu retten war. Erfolg hatten sie nicht. Zwar trat Gorbatschow zurück, aber der Untergang der UdSSR warnicht aufzuhalten. Später bezeichnete der heutige russische Präsident Vladimir Putin den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts.
Anstatt dass Gorbatschows Reformen die UdSSR modernisierten, waren sie der Anfang vom Ende des Kommunismus. In den anderen Ostblockstaaten, unter anderem auch in der DDR, war es gleichzeitig der Aufstieg zu einem freien und selbstständigen Leben.
Michail Gorbatschow – im Westen ein Held, in Russland ein Verräter.