Wissenschaft
Wissenschaft reicht ihr nicht mehr
Sara Nanni arbeitet an der Hochschule Düsseldorf und erforscht die Radikalisierung und Nicht-Radikalisierung von jungen Muslim:innen. Jetzt möchte sie in den Bundestag – ein Porträt.
Sie wippt leicht vor und zurück, bis sie das richtige Tempo gefunden hat. Sara Nanni spricht energisch, ihr Text ist vorbereitet. Sie spricht vom Klimaschutz, der doch kein Lifestyle ist, von der neuen Politik, die uns vor die Klimakrise bewahrt und von der feindlichen Stimmung, die sich auch in der Mitte der Gesellschaft breit macht. Zehn Minuten später ballt Sara Nanni die rechte Faust. Sie atmet tief auf und lächelt breit. 99 der 117 Stimmberechtigten bei der Düsseldorfer Wahlaufstellung haben für sie als Direktkandidatin gestimmt. Sie zieht einen imaginären Hut, bedankt sich kurz und wirft eine Kusshand in die virtuelle Menge. Dabei steht Sara Nanni vor ihrem weißen Vorhang mit dem Blumen-Muster. Direkt hinter ihr hängt ein Umriss von Düsseldorf, die südlichen Stadtteile sind grün eingefärbt. Sie illustrieren ihr politisches Ziel: Sie kandidiert für den Bundestag – für die Grünen und für den Wahlkreis Düsseldorf-Süd.
Radikalisierung als Faszination
Eigentlich ist Sara Nanni Sozialwissenschaftlerin, genauer gesagt Friedens- und Konfliktforscherin. Mit Kolleg:innen aus 13 verschiedenen Ländern erforscht sie, wie sich junge Muslim:innen radikalisieren. Für Sara Nanni geht es vor allem um die Muslim:innen, die sich nicht radikalisieren, obwohl sie dafür eigentlich anfällig wären. Sara Nanni spricht mit ihnen, analysiert ihr Umfeld, taucht in ihre Biografie ein – immer auf der Suche nach Antworten auf die zentrale Frage: „Was bringt eigentlich Menschen dazu, andere Menschen so zu hassen, dass sie ihnen den Tod wünschen?“ Diese Motivation der potentiellen Extremist:innen fasziniert Sara Nanni besonders: „Das interessiert mich total, wie Menschen solche Sachen mit sich verhandeln.“ Aber ihr ist die Wissenschaft nicht mehr genug: „Für mich war die Sprache der Wissenschaft irgendwann nicht mehr ausreichend. Man versteht ständig Dinge, aber tut dann nichts und das ist für mich frustrierend.“
Aus dem Kinder- und Jugendparlament in den Bundestag
Mit 15 Jahren wird Sara Nanni Mitglied und später auch Vorsitzende im Kinder- und Jugendparlament von Waltrop, wo sie aufgewachsen ist. Schon damals hört sie immer und immer wieder „Du wirst doch mal Politikerin“. Für Sara Nanni war das keine Option: „Ich habe das total abgeblockt – auch aus so einem Ressentiment heraus, dass Politik nichts Vernünftiges ist.“ Außerdem fehlte ihr das nötige Selbstbewusstsein für die große Politik. Lieber engagiert sie sich als Studentin in der Hochschulpolitik. Sie tritt den Grünen bei, arbeitet in Arbeitsgemeinschaften der Partei zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik und engagiert sich im Düsseldorfer Kreisvorstand. Immer häufiger lernt sie Berufspolitiker:innen kennen und immer weiter schrumpfen ihre Ressentiments gegenüber der Berufspolitik. Gleichzeitig wächst die gesellschaftliche Zustimmung für die Politik der Grünen – erst über 15 Prozent, dann über 20 Prozent in der Sonntagsfrage. Damit steigt auch der Bedarf nach Personen, die Mandate übernehmen – das weiß auch Sara Nanni: „Da kommen jetzt echt viele in den Bundestag und du hast auch echt viel gemacht, da musst du mal drüber nachdenken.“ Vor zweieinhalb Jahren wenige Tage vor Weihnachten, gibt sie sich einen Ruck: „Da habe ich gedacht, ja versuchst es mal. Eigentlich war das auch ein sehr befreiender Moment, weil ich das das erste Mal so annehmen konnte. Eigentlich haste Bock.“ 19 Jahre nach dem Jugendparlament möchte sie in den Bundestag.
Da habe ich gedacht, ja versuchst es mal. Eigentlich war das auch ein sehr befreiender Moment, weil ich das das erste Mal so annehmen konnte. Eigentlich haste Bock.
Wenn ich irgendjemanden im Bundestag sehen möchte, dann jemanden wie Sara.
Als Ehefrau und Mutter einer Tochter im Grundschulalter ist für Sara Nanni aber auch klar, dass sie diese Entscheidung nicht nur für sich trifft: „Wenn ich Politikerin werde, dann werde ich das nicht alleine, sondern dann wird das meine Familie mit mir.“ Ihr Mann unterstützt sie, der Entscheidung steht nichts im Weg. Aber ihr Entschluss, für den Bundestag zu kandidieren, ist für Sara Nanni alles andere als selbstverständlich. Für ihre Freund:innen schon: „Für mich war es offensichtlich die größte Überraschung von allen, für die anderen war das eher so ‚Ah ja, cool‘.“ Auch Anna Merhart, eine ihre engsten Freundinnen, unterstützt ihre Kandidatur: „Wenn ich irgendjemanden im Bundestag sehen möchte, dann jemanden wie Sara.“ Für Anna Merhart ist es das „eskalative Denken“, das für Sara Nanni typisch ist, also die Fähigkeit, Dinge bis zu Ende zu denken: „Bei Problemen denken wir zusammen zwei Schritte weiter und sie denkt nochmal zehn Schritt weiter.“
Entscheidung im September
Die Chancen von Sara Nanni stehen gut, denn die Delegiert:innen haben sie auf einen aussichtsreichen Platz auf der Landeliste gesetzt. Mit ihrem Fachwissen in der Außen- Sicherheitspolitik ist sie gefragt. Außerdem kommt sie aus Düsseldorf, immerhin die Landeshauptstadt. Sara Nanni ist optimistisch: „Ich habe ein gutes Gefühl und plane schon, dass ich wirklich ab Oktober im Bundestag sitze.“ Falls es doch nicht für den Bundestag reichen sollte, bleibt für Sara Nanni weiterhin die Wissenschaft: „Es gibt mehrere Idee für Promotionsvorhaben, die in der Schublade liegen und die würde ich dann öffnen nach dem 26. September.“
Sara Nanni wurde 1987 in Datteln geboren. Sie hat Deutsch-französische Sozialwissenschaften und Friedens- und Konfliktforschung studiert, unter anderem in Stuttgart und Bordeaux. Seit 2018 arbeitet sie an der Hochschule Düsseldorf im Forschungsprojekt „Dialogue about Radicalisation and Equality“ und erforscht die Radikalisierung und Nicht-Radikalisierung von jungen Muslim:innen.